Liebe Frau Pieper, Sie sind Agrarsoziologin an der Universität Göttingen, haben ein Interview als wissenschaftliche Expertin gegeben und wurden daraufhin angegriffen. Was genau ist passiert?
Im Februar gab ich ein Fernsehinterview zu den Bauernprotesten. Ich ordnete gewisse Bewegungen innerhalb der Proteste als rechtspopulistisch ein und sagte, dass einer der Sprecher einer landwirtschaftlichen Vereinigung in der Vergangenheit durch rechtsextreme bis hin zu rechtspopulistischen Aussagen aufgefallen sei.
Kurz nach dem Interview brach ein Shitstorm über meine Uni, die Fakultät, meine Professorin, die Mitarbeiter*innen ihres Lehrstuhls und mich herein. Ich bekam Hassmails, Beleidigungen, Drohungen und meine Chefin Aufrufe, mich zu kündigen. Mein Telefon stand nicht mehr still. Das, was passierte, war eine klassische Kampagne gegen Kritiker*innen. Es wurden diffamierende Videos über mich veröffentlicht, der Inhalt meines Interviews wurde verkürzt und zum Teil verfälscht weiterverbreitet.
Zudem wurde ich von zwei Verbänden und einem Landwirt abgemahnt und damit aufgefordert, bestimmte Äußerungen künftig zu unterlassen sowie die Kosten des Anwalts zu erstatten. Nach Zurückweisung der Abmahnungen stellten die Anspruchsteller Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung bei drei verschiedenen Landgerichten, die allesamt – wie auch eine Beschwerde eines unterlegenen Verbands von einem Oberlandesgericht – mittels Urteilen und Beschlüssen zurückgewiesen wurden. Für die angegriffenen Äußerungen legte ich hinreichende Tatsachengrundlagen dar. Ein Verband hat kürzlich Berufung eingelegt. Ob der andere Verband und der Landwirt noch rechtliche Schritte ergreifen, ist derzeit offen.
Dieses Vorgehen ist nach meiner Auffassung eine klassische SLAPP-Klagestrategie1), die den Zweck hat, Kritiker*innen einzuschüchtern und ihre öffentlich vorgebrachte Kritik zu unterbinden.
- SLAPP steht für “Strategic Lawsuit(s) Against Public Participation”. Der Einsatz von SLAPP-Klagen ist rechtsmissbräuchlich. Sie haben zum Ziel (seitens bestimmter Interessen wie z. B. von Einzelpersonen, Unternehmen, Verbänden, politischen Interessen), kritische Stimmen einzuschüchtern und eine abschreckende Wirkung auf Personen – und damit auch Wissenschaftler*innen – zu haben, damit diese sich nicht mehr öffentlich äußern.
Wie sind Sie auf den Scicomm-Support aufmerksam geworden? Wie haben Sie Kontakt aufgenommen?
Ich bin über den Pressesprecher meiner Uni, der gleichzeitig auch der Beauftragte für solche Situationen ist, zum Scicomm-Support gekommen. Die Kontaktaufnahme fand schon am ersten Tag des Shitstorms telefonisch statt.
Wie wurden Sie unterstützt? Was hat die Beratung umfasst?
Mein Scicomm-Support-Ansprechpartner war dauerhaft für mich erreichbar und hat zunächst Erste Hilfe geleistet: Zuhören. Er hat mit mir die Lage genau analysiert, mich hinsichtlich meiner Einstellungen zur Online-Privatsphäre beraten, meine Hass-Mails begutachtet und sehr schnell kompetente juristische Unterstützung und alle Abstimmungen mit meiner Universität organisiert. Für mich war und ist es unglaublich hilfreich, sehr zeitnah einen juristischen Beistand in dieser Situation gehabt zu haben. Der Scicomm-Support hat nicht nur einen sehr versierten Rechtsanwalt in die Beratung hinzugezogen, sondern auch die Kosten für die juristischen Auseinandersetzungen übernommen.
Das Besondere an diesem Unterstützungsangebot ist, dass ich sofort und während der gesamten Zeit eine Ansprechperson hatte, die mit Anfeindungen im wissenschaftlichen Kontext vertraut ist und genau weiß, was zu tun ist und welche universitären Strukturen und Logiken zu beachten sind.
Wie genau hat Ihnen die Unterstützung des Scicomm-Supportes geholfen?
Dank der Unterstützung durch den Scicomm-Support konnte ich allen kommunikativen sowie juristischen Herausforderungen meines Shitstorms begegnen.
Ich hoffe, dass ich ein positives Beispiel für andere Wissenschaftler*innen sein kann, denn mein Fall zeigt, dass durch Unterstützungsangebote wie den Scicomm Support die demokratischen Werte Wissenschafts- und Meinungsfreiheit verteidigt werden können. Wir Wissenschaftler*innen sollten uns durch SLAPP-Klagen nicht einschüchtern lassen.
Wie gehen Sie nun mit der Situation um? Wie ist die gegenwärtige Situation? Gibt es noch Anfeindungen?
Gibt es etwas, was Sie bei eventuell zukünftigen Anfeindungen anders machen würden?