Von Kristin Küter
Berlin, 4. Oktober 2024
Warum eine solche Anlaufstelle? Eine Hilfe in Zeiten zunehmender Anfeindungen.
Der Scicomm-Support ist die nationale Anlaufstelle bei Angriffen und unsachlichen Konflikten in der Wissenschaftskommunikation. Seine Gründung war eine Reaktion auf eine an den wissenschaftlichen Einrichtungen damals spürbar angestiegene Wissenschaftsfeindlichkeit, Zunahme von Hassrede und weiteren Formen von Anfeindungen gegenüber Forschenden und wissenschaftlichen Einrichtungen, die Wissenschaftskommunikation betreiben. Wissenschaftsfeindlichkeit ist keine konstruktive Kritik an wissenschaftlichen Ergebnissen oder Methoden, sondern äußert sich in Hassrede, persönlichen Angriffen, Verleumdungen und sogar Drohungen bis hin zu tätlichen Angriffen gegen Einzelpersonen. Der Scicomm-Support wurde von Bundesverband Hochschulkommunikation und Wissenschaft im Dialog initiiert, um genau hier anzusetzen: Wissenschaftler*innen und Wissenschaftskommunikator*innen in solchen Situationen zu unterstützen, sie zu beraten und ihnen Werkzeuge für ihren Schutz an die Hand zu geben, mit dem Ziel, dass sie sich nicht aus der Wissenschaftskommunikation zurückziehen. Mit dem Aufbau der Anlaufstelle begannen wir im Herbst 2021. Partnerinnen von Beginn an sind die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG).
Das Beratungs- und Unterstützungsangebot des Scicomm-Supportes besteht aus drei Säulen: (1) Informationsangebote auf der Website, (2) Trainings- und Workshopangebote sowie (3) die persönliche telefonische Beratung (täglich, von 7 bis 22 Uhr). Die drei Säulen beinhalten Unterstützung auf Kommunikations-, rechtlicher und – bei Bedarf – psychologischer Ebene. Alle drei Säulen ergänzen sich gegenseitig.
Die erste Säule, die Informationsangebote auf unserer Website wie zum Beispiel ein Leitfaden mit Tipps und Strategien zum richtigen Umgang mit Angriffen gegen Wissenschaftler*innen und Wissenschaftskommunikator*innen, stellen ein sehr niedrigschwelliges Angebot dar. Sie bieten Hilfestellung und zeigen erste Handlungsmöglichkeiten bei bereits stattgefundenen Vorfällen oder zur Prävention auf.
Die zweite Säule komplettiert die erste durch praxisorientierte Trainings und Workshops und schult ganze Institutionen, einzelne Fachbereiche oder Lehrstühle im Umgang mit Wissenschaftsfeindlichkeit und Angriffen. Dabei ermöglichen die Veranstaltungen persönlichen Austausch und bei Bedarf eine Gruppenberatung.
In der dritten Säule beraten wir telefonisch im Rahmen einer persönlichen Einzelfallberatung.
In dieser Hinsicht sind die drei Säulen aufeinander abgestimmt und können je nach Bedarf und Fall die gewünschte und benötigte Unterstützung bieten.
Qualitative und Quantitative Indikatoren
Die Nachfrage der einzelnen Angebote stellt sich nach mehr als einem Jahr wie folgt dar:
Es zeigt sich ein großes Interesse der Website-Besucher*innen an konkreten Werkzeugen und Handlungsanleitungen. Die Website an sich wurde über 30.000 mal aufgerufen, der Leitfaden knapp 2.400 mal gelesen oder heruntergeladen. Daraus schließen wir auf einen großen Bedarf an niedrigschwelligen Beratungsangeboten – für erste Schritte im Falle von Anfeindungen und zur Prävention.
Bereits zeitnah nach unserem Start am 20. Juli 2023 erhielten wir viele Anfragen für Workshops und Trainings. Zu diesem Zeitpunkt war dieses Angebot noch im Entstehen. Im Herbst 2023 konnten wir bereits einzelne Workshops anbieten. Offiziell ist die Säule “Trainings und Workshops” seit Januar dieses Jahres Teil der Anlaufstelle. Seit Beginn unserer Tätigkeit haben uns insgesamt knapp 60 Anfragen von unterschiedlichen Instituten und Fachbereichen für Workshops und Trainings erreicht und wir konnten bereits 475 Personen schulen (ca. die Hälfte der Veranstaltungen hat bereits stattgefunden, die andere Hälfte ist für die kommenden Wochen und Monate terminiert – mit ca. der gleichen dreistelligen Personenanzahl). Die Erfahrung hat uns gezeigt, bei jedem Workshop ausreichend Zeit einzuplanen, da Teilnehmende von ihren Erfahrungen mit Anfeindungen berichten möchten sowie Austausch und Rat suchen. Diese Runden sind in der Regel von kollegialem Austausch geprägt und helfen dabei, dem Tabu und der Vereinzelung, der sich die Betroffenen von Hassrede oft ausgesetzt fühlen, entgegenzuwirken. Des Weiteren wird oft ersichtlich, welche Rollen und Verantwortlichkeiten für die jeweilige Einrichtung sinnvoll sind, um bei Anfeindungen unterstützen zu können.
Art, Umfang und damit auch Dauer der telefonischen Beratungsfälle variieren stark und sind sehr individuell. Die Darstellung unserer Kennzahlen bedarf insbesondere bei der persönlichen telefonischen Beratung einer qualitativen Einordnung, da sie rein quantitativ kein vollständiges Bild wiedergeben. Aufgrund dessen haben wir die bislang 60 Fälle aus der persönlichen Beratung in verschiedene Kontaktpunkte (per Telefon und E-Mail) unterteilt. So zeigt sich, dass 26 Fälle eine intensive Betreuung von mehr als zehn Kontaktpunkten benötigten, Einzelfälle sogar bis zu knapp 80 Kontakte. Dies verdeutlicht, dass wir viele Personen nicht nur sehr intensiv, sondern auch über einen längeren Zeitraum – teilweise über Monate. Viele Anfeindungen ziehen rechtliche Schritte nach sich. All dies zeigt, wie komplex und anspruchsvoll die Beratungsarbeit sein kann.
Repräsentative Ergebnisse zur Wissenschaftsfeindlichkeit in Deutschland hat eine Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) im Mai 2024 veröffentlicht. Laut dieser haben 45 % der befragten Forscher*innen in Deutschland mindestens eine Form von Anfeindungen selbst erlebt. Frauen und Männer sind in den Ergebnissen gleichermaßen betroffen, bestimmte Formen der Anfeindungen wie beispielsweise persönliche Diskriminierung und herablassende Äußerungen mehr gegen Wissenschaftlerinnen gerichtet sind.
Die Bilanz der Beratungsfälle aus dem Scicomm-Support ist nicht repräsentativ. Die Anrufer*innen beim Scicomm-Support treffen durch ihre Kontaktaufnahme eine Selbstauswahl. Unter dieser Prämisse sind auch die veröffentlichten Kennzahlen zu betrachten. Dennoch lassen sich einige Schlüsse ziehen. Ein Großteil der Fälle der telefonischen Beratung sind Wissenschaftler*innen aus den Sozial- und Verhaltenswissenschaften. Dass Personen aus diesem Fachgebiet Anfeindungen erleben, könnte vor allem mit den gesellschaftlichen Implikationen und Interpretationen ihrer Forschung zusammenhängen. Andere Wissenschaften sind in unserer Beratung nicht gleich häufig vertreten, aber auch andere Fachrichtungen wie beispielsweise Mathematik, Geowissenschaften, Geisteswissenschaften sowie Bauwesen und Architektur sind von Anfeindungen betroffen. Darüber hinaus gibt es neben den häufigen Anfeindungen im digitalen Raum auch viele, die offline stattfinden oder sich in beiden Sphären ereignen und ineinander übergehen. Ferner melden sich bei uns Frauen häufiger als Männer. Bezieht man sich hier nur auf die Wissenschaftler*innen und nicht auf die Wissenschaftskommunikator*innen, kontaktieren zwischen einem Viertel und ein Drittel mehr Frauen als Männer die telefonische Beratung. Betrachtet man hier wiederum Art und Umfang, lässt sich an einigen Fällen eine geschlechtsspezifische Komponente feststellen, die sich mit den Ergebnissen der DZHW-Studie deckt. Vor allem herablassende Äußerungen oder Fälle mit einhergehender persönlicher Diskriminierung (z. B. Belästigung, Stalking und Seximsus) werden in diesem Ausmaß speziell von Wissenschaftlerinnen berichtet.
Eine ganzheitliche Beratung und Unterstützung
Die drei tragenden Säulen des Beratungs- und Unterstützungsangebotes bedingen die ganzheitliche Herangehensweise des Scicomm-Supportes: Diese umfassende Unterstützung und Begleitung ist entscheidend, um den Betroffenen nicht nur kurzfristig zu helfen, sondern sie langfristig in ihrer Resilienz zu stärken. Des Weiteren hoffen wir, dass sich die Betroffenen durch unsere Unterstützung weiterhin in öffentlichen Debatten äußern und ihre Stimme für die Wissenschaft erheben. Dabei geht es nicht nur darum, auf Anfeindungen reagieren zu können, sondern auch proaktiv auf solche möglichen Situationen vorbereitet zu sein. Darüber hinaus erreichen uns Rückmeldungen, dass allein das Bestehen eines Schutzraumes, den der Scicomm-Support bietet, bereits eine Rückendeckung und damit Stärkung der einzelnen Stimmen der Wissenschaftskommunikation darstellt. Wir haben gemerkt und gespiegelt bekommen, wie sehr eine solche Anlaufstelle aus der Wissenschaft für die Wissenschaft gefehlt hat.
Der Scicomm-Support und seine Arbeit stoßen auf ein großes Medienecho. Seit Beginn der Beratungsarbeit können wir auf über 70 Medienbeiträge verweisen, die mit oder über uns berichten. Von der Tagesschau über den Deutschlandfunk bis hin zu DIE ZEIT und Süddeutschen Zeitung – in verschiedensten Plattformen und Medienhäusern wurde die Arbeit des Scicomm-Supportes aufgegriffen, diskutiert und weitergetragen. Dies zeigt auch, welche Beachtung das Thema Wissenschaftsfeindlichkeit aktuell in Deutschland, Österreich und der Schweiz hat.
Ein Blick nach vorn: Was bringt die Zukunft für den Scicomm-Support?
Die ersten 16 Monate des Scicomm-Supportes waren von vielen Beratungserfolgen geprägt, doch es ist klar, dass der Bedarf an Unterstützung in den kommenden Jahren voraussichtlich nicht geringer werden wird. Die aktuelle politische und polarisierende gesellschaftliche Stimmung lässt leider das Gegenteil und einen steigenden Bedarf erwarten.
In Zukunft wird es darum gehen, das bestehende Angebot weiterzuentwickeln, um noch mehr Menschen zu erreichen und die Wissenschaftskommunikation weiter zu stärken. Wir möchten weiter daran arbeiten, unser Angebot bekannt zu machen und gleichzeitig eventuelle Hemmschwellen zur Hilfe weiter abzubauen. Wir konnten bereits zahlreiche Betroffene unterstützen, aber unser Angebot ist noch immer nicht allen Betroffenen und Interessierten bekannt. Von unserem großen Netzwerk aus inhaltlichen Unterstützer*innen und Partner*innen konnten wir hinsichtlich dessen bereits profitieren. So ist kürzlich die Amadeu Antonio Stiftung zehnte Einrichtung im Netzwerk des Scicomm-Supportes geworden. Dieses Netzwerk von gegenseitigen Kooperationen, das in diesen ersten anderthalb Jahren entstanden ist, möchten wir weiterhin stärken.
Der Scicomm-Support wird sich weiter für Wissenschaftskommunikation einsetzen. Sowohl durch die Unterstützung und Beratung, als auch durch die Präsenz im öffentlichen Diskurs möchten wir Wissenschaftskommunikator*innen und Wissenschaftler*innen zeigen, dass sie nicht allein sind und sie in ihrer Kommunikation bestärken. Nicht zuletzt aufgrund der hohen Nachfrage unseres Angebotes und des zahlreichen positiven Feedbacks fühlen wir uns in dieser Arbeit ermutigt.
Zur Webseite “Zwischenbilanz und Kennzahlen”: https://scicomm-support.de/zwischenbilanz/
Diese Übersicht ist ab jetzt dauerhaft auf unserer Website veröffentlicht. Wir aktualisieren die Zwischenbilanz regelmäßig. Schauen Sie gern regelmäßig vorbei.