Digitale Gewalt ist mehr als Hassrede

Eine nicht-repräsentative Umfrage von Nature.com hat kürzlich gezeigt, wie häufig öffentlich sichtbare Wissenschaftler*innen von Hass im Netz betroffen sind. Wo Betroffene Unterstützung finden und wie sich digitale Gewalt juristisch bekämpfen lässt, erklärt Josephine Ballon von der Beratungsstelle HateAid.

Foto: unsplash.com / Nadine Shaabana

Frau Ballon, was versteht man unter digitaler Gewalt?

Wir benutzen bei HateAid ganz bewusst den Begriff digitale Gewalt und nicht wie oft üblich Hate Speech oder Hassrede, weil mit diesen engeren Bezeichnungen ganz viel verloren geht. Unter digitale Gewalt fallen alle Arten von Gewalt, die in irgendeiner Form durch digitale Tools vermittelt geschehen. Wir sprechen über Hasskommentare in den sozialen Netzwerken, Morddrohungen per E-Mail, Veröffentlichung von privaten Informationen, wie der Privatadresse oder dem Namen des*r Partners*in oder Informationen über die Kinder. Auch der Missbrauch und die Manipulation von Bildmaterial gehören dazu, sowie die Fotomontage von Nacktfotos, oder das Anlegen von Fake-Profilen, um damit Lügen zu verbreiten oder Menschen zu diffamieren. Digitale Gewalt umfasst auch das Zusenden von pornografischem Material, wie Dick Pics oder all diese Dinge, die sich Menschen leider ausdenken, um andere im Netz zu schikanieren.

Können Sie benennen, wie groß das Problem ist?

Zu benennen, wie groß es ist, ist schwierig. Wir sehen in Studien, dass insbesondere unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen digitale Gewalt ein massives Problem zu sein scheint und schon beinahe zum Alltag gehört. Ungefähr jede*r Dritte gibt an, schon einmal selbst digitale Gewalt erfahren zu haben.

Laut einer nicht-repräsentativen Umfrage von Nature.com sahen sich 80 Prozent der befragten Wissenschaftler*innen, die sich in der Pandemie öffentlich äußerten, persönlichen Angriffen ausgesetzt. Etwa ein Viertel der Befragten berichten über Androhungen von Gewalt. 15 Prozent geben an, Morddrohungen erhalten zu haben. An der Umfrage haben 321 internationale Forschende, ein Großteil von ihnen aus den USA, Großbritannien und Deutschland, teilgenommen.

Welche Erfahrungen Bürger*innen mit Hassrede im Netz gemacht haben, hat das Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft Jena in einer bundesweiten, repräsentativen Umfrage untersucht. Jede*r zwölfte Befragte gab darin an, bereits direkt von Hassrede betroffen gewesen zu sein. 40 Prozent der Befragten sagten, dass sie bereits Hate-Speech wahrgenommen haben, unter den jüngeren Menschen im Alter von 18 – 24 Jahren lag der Anteil sogar bei 73 Prozent.

Wenn wir uns ansehen, welche Art von Menschen sich an uns wendet, dann sind das vor allem marginalisierte Gruppen. Intersektionalität spielt dabei eine ganz große Rolle. Eine der am schwersten betroffenen Gruppen sind Frauen. Generell betrifft digitale Gewalt häufig Menschen, die sich in der Öffentlichkeit zu gesellschaftlich relevanten Themen äußern, Journalist*innen, Aktivist*innen genau wie Politiker*innen. Vor allem auf kommunalpolitischer Ebene haben wir da schlimme Auswüchse gesehen. Und jetzt eben auch Wissenschaftler*innen, da sie im Zuge der Coronapandemie eine größere Aufmerksamkeit haben. Im Zuge der Pandemie haben sich auch einige Wissenschaftler*innen an uns gewendet, die vor allem aus dem sozialwissenschaftlichen Bereich kommen und zu Desinformation und Verschwörungserzählungen forschen.


Das Interview erschien im Oktober 2021 auf der Plattform wissenschaftskommunikation.de

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Interview:
Sina Metz
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