Raushalten ist keine Option

Wie hat sich der Diskurs im Internet in den letzten Jahren verändert? Dazu forscht Kommunikationswissenschaftlerin Lena Frischlich. Im Interview spricht sie über Informationsunordnung, wie Moderation zu demokratischer Resilienz beitragen kann und warum Wissenschaftskommunikation und Journalismus in digitalen Räumen präsent sein sollten.

Foto: unsplash.com / Clarissa Watson

Frau Frischlich, Sie beschäftigen sich in Ihrer Arbeit unter anderem mit Diskursräumen im Internet. Wie hat sich der Diskurs aus Ihrer Sicht in den letzten Jahren verändert?

Was man grundsätzlich sagen kann, ist, dass sich der Wandel von Medienumgebungen, der immer schon jede technologische Innovation begleitet hat, noch mal rapider geworden ist. Guckt man sich die Entwicklungen der letzten 20 Jahre an, dann hat sich hier viele verändert. Der Siegeszug von Google, die Erfindung des Smartphones und die Entwicklung von Sozialen Netzwerken haben verändert, wie wir uns miteinander vernetzen, wie oft wir uns vernetzen, wie wir uns informieren und worüber wir reden. Das bietet einerseits ganz viele tolle Optionen. Gleichzeitig ergeben sich auch Gelegenheitsstrukturen für Inhalte, die nicht dem entsprechen, wie idealer politischer und gesellschaftlicher Diskurs aussehen sollte.

Welche positiven und negativen Folgen sehen Sie da konkret?

Das Internet ermöglicht es Menschen, sich miteinander zu verbinden und es ermöglicht Menschen die Teilnahme an der Gesellschaft, denen es früher nicht so leicht möglich war, weil sie beispielsweise aus dem ländlichen Raum waren und damit schlicht nicht nah genug dran waren an den Entscheidungsprozessen. Gleichzeitig wird das Ideal einer deliberativen Demokratie im Online-Diskurs nicht immer getroffen. Hasserfüllte Diskurse und die Verbreitung von Informationen, die nicht faktisch korrekt sind und aus den unterschiedlichsten Gründen verbreitet werden, sind hier zwei der ganz großen Themen, mit denen wir uns beschäftigen. Claire Wardle von First Draft beschriebt die Veränderungen, die wir dabei erleben als Informationsunordnung und ich finde, dass es dieser Begriff sehr gut erfasst. Wir leben in einer Welt, in der wir sehr viel Zugang zu Informationen haben, aber gleichzeitig auch viel häufiger entscheiden müssen, wie wir diese Informationen bewerten. Das war vielleicht früher ein bisschen leichter.

Kann man sagen, wie gut Menschen mit dieser Informationsunordnung zurechtkommen?

Die Frage danach, was man braucht, um sich souverän und selbstbewusst in dieser Umwelt zu bewegen, ist sehr komplex. Oft werden diese Fähigkeiten unter Medienkompetenz zusammengefasst und dafür spielen viele unterschiedliche Dinge eine Rolle. Kinder und Jugendliche sind beispielsweise vielfach sehr intuitiv in der Nutzung von neuen Medien und Geräten, sind aber auf der anderen Seite oft noch nicht so gut darin oder brauchen Unterstützung dabei, Quellen einzuordnen und Informationen zu bewerten. Bei älteren Mediennutzenden ist es teilweise umgekehrt. Die vielfältigen Anforderungen, die die heutige Informationslandschaft an Menschen stellt, können unterschiedliche Menschen unterschiedlich gut bewältigen. Vieles davon kann man lernen, aber ich glaube, insgesamt gibt es noch viel, was wir uns individuell eben erst erarbeiten müssen.


Das Interview erschien im Januar 2021 auf der Plattform wissenschaftskommunikation.de

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Interview:
Rebecca Winkels
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